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Ins Leben geschnitten

Hand hält Babyfuß
Peter Bast / pixelio.de, www.pixelio.de

Warum der Kaiserschnitt mehr als eine Narbe hinterlässt

 

Der Kaiserschnitt gilt als moderne Errungenschaft der westlichen Medizin. Bei entsprechender Indikation hat er zweifellos Berechtigung und Sinn. Was dieser Schnitt ins Leben allerdings tatsächlich bedeutet, darüber wird selten gesprochen. Die widersprüchlichen Gefühle zur Sektio-Entbindung sind noch immer stark tabuisiert …

„Na Hauptsache dein Sohn ist gesund! Ist doch egal, dass er per Kaiserschnitt zur Welt kam. Das ist doch nicht schlimm. Viele Kinder werden so geboren. Freu dich doch und genieße es.“

 

Solche und ähnliche Aussagen irritierten mich im ersten Lebensjahr meines Sohnes massiv. Schließlich war ich weder über unser Geburtserlebnis sonderlich erfreut, noch fühlte ich mich in der Lage zum entspannten Genießen. Im Gegenteil: Ich war traurig über das, was wir erlebt hatten. Und ich war zutiefst verunsichert, was meine mütterlichen Qualitäten betraf. Waren diese Gefühle denn „normal“? Oder stimmte mit mir etwas nicht? In der Zwischenzeit weiß ich: Viele Kaiserschnitt-Mütter empfinden ähnlich, nur spricht fast niemand darüber.

 

Unsere Geschichte

Es ist der 24. April 2013. Fünf Wochen vor dem errechneten Geburtstermin meines Sohnes. Mitten in der Nacht geht es los: Ich übergebe mich ständig. Fieber kommt dazu. Die Wehen setzen ein. Wir fahren ins Krankenhaus. Die Herztöne sind schlecht. Die Entscheidung fällt: Sektio! Schnitt. Zack. Mein Sohn ist da. Er wird mir kurz gezeigt. Dann ist er weg. Und zwar ganz weg, für einen Monat auf der Intensivstation. Seine Lunge hat sich nicht entfaltet. Er atmet nicht ausreichend. Wir sind getrennt. Unser Band ist zerschnitten. Wir werden Zeit und Geduld brauchen, um es wieder zu knüpfen …

 

Eine ungeklärte Infektion gefährdete mein ungeborenes Kind. In dieser Situation war der Kaiserschnitt unvermeidbar. Allerdings wird wohl nie geklärt werden, ob es nicht letztendlich der Schock des abrupten „Aus-mir-raus-Gerissen-Werdens“ war, der meinem Sohn den Atem nahm. An sich war er nämlich ein vitales Kerlchen. Auch wenn nicht jeder Kaiserschnitt automatisch eine derartig lange Trennung wie unsere mit sich bringt, so ist doch klar:

Eine Sektio bedeutet IMMER eine Trennung von Mutter und Kind – sei sie auch noch so kurz.

Diese Separierung sowie operationsbedingte Schmerzen verursachen oft Turbulenzen in der Mutter-Kind-Beziehung.

 

Sensibilisierung und Aufklärung sind notwendig

In der Zwischenzeit sind die möglichen Folgen des Kaiserschnitts wissenschaftlich belegt. Zucker- und Allergie-Erkrankungen stehen in direktem Zusammenhang mit dieser Art der Geburt. Kaiserschnitt-Kinder sind oft unruhiger, schreckhafter, finden über Monate keinen Schlaf. Stillprobleme sind häufig. Bei der Mutter staut es, das Kind saugt nicht „richtig“. Die natürlichste Sache der Welt ist in Unordnung. Auch die Gefühlswelt der Mutter. Eine Tatsache, die oft übersehen, ja sogar geleugnet wird. Die schmerz- und komplikationsfreie Geburt wird angepriesen. Bei vielen Kaiserschnitt-Müttern stellt sich das Glücksgefühl allerdings oft verspätet ein. Sie fühlen sich lange Zeit überrumpelt, unfähig und schuldig. All diesen Müttern darf ich aus tiefstem Herzen versichern: Ihr dürft euch so fühlen!

 

Dieser mütterliche Ausnahmezustand ist keine Seltenheit. Auch mein Hausarzt, ein erfahrener Mediziner und Vater von sieben Kindern, erlebte diesen, als eine seiner Töchter das erste Kaiserschnitt-Baby in der Familie zur Welt brachte. Nicht nur nahm er sofort einen Unterschied im Verhalten zwischen einem natürlich geborenen und einem „geschnittenen“ Kind wahr. Vor allem irritierte ihn die Verfassung seiner Tochter, die bei jedem kleinsten Anzeichen von Schwierigkeiten mit ihrem Baby in Panik und Selbstzweifel verfiel. Und das über viele Monate. Eine solche Erschütterung der mütterlichen Intuition hatte er noch nie erlebt. Was ihn aber am meisten schockierte: Von all dem hatte er bis dato nichts gewusst bzw. wahrgenommen! Fazit: Sensibilisierung  und Aufklärung sind notwendig.

 

Es lohnt sich, auf die Suche nach guten Büchern zum Thema Kaiserschnitt zu gehen. Es gibt eine ganze Menge davon. Die Wiener Psychologin Judith Raunig hat es sich zur Aufgabe gemacht, Sektio-Mütter auf ihrer Reise zu begleiten. Als Tipp möchte ich hier auch ihren einfühlsamen und preisgekrönten Film: „Meine Narbe“ erwähnen (Mirjam Unger und Judith Raunig, Geyerhalter Filmproduktion).

 

Plädoyer für eine Enttabuisierung

Ohne Diskussion: Der Kaiserschnitt kann Leben retten. In unserer Gesellschaft wird meines Erachtens allerdings zu schnell und leichtfertig davon Gebrauch gemacht. Mütter, die sich dafür entscheiden, haben gewiss ihre Gründe. Es gibt bestimmt auch Frauen, die mit ihrem Kaiserschnitt-Erlebnis zufrieden sind. Wenn das so ist: Wunderbar. Wir alle sind individuell, empfinden unterschiedlich, gehen anders mit herausfordernden Situationen um. Vielen Frauen geht es allerdings nicht so gut. Sie fühlen sich nicht ernst genommen mit ihren Sorgen, Gedanken, Empfindungen. Ihre ohnehin schon große Verunsicherung wird noch größer. Genau diesen Frauen soll zukünftig Gehör verschafft und Unterstützung geboten werden. Dafür werde ich mich stark machen.

 

Die Narbe unterhalb meines Bauchnabels ist kaum noch sichtbar. Aber die Narbe in meinem Herzen spüre ich noch immer …

 

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