Dieser Artikel erschien im unerzogen-Magazin (tologo Verlag), Juli 2016
Der Kaiserschnitt gilt als moderne Errungenschaft der westlichen Medizin. Bei eindeutiger medizinischer Indikation hat er zweifellos Berechtigung und Sinn. Was dieser Schnitt ins Leben allerdings tatsächlich bedeutet, darüber wird selten gesprochen. Die widersprüchlichen Gefühle zur Sektio-Entbindung sind noch immer stark tabuisiert. Die möglichen Folgen der Operation sind den betroffenen Müttern und Familien meist nicht bekannt …
„Na Hauptsache dein Sohn ist gesund! Ist doch egal, dass er per Kaiserschnitt zur Welt kam. Das ist doch nicht schlimm. Viele Kinder werden so geboren. Freu dich doch und genieße es.“ Solche und ähnliche Aussagen irritierten mich im ersten Lebensjahr meines Sohnes massiv. Schließlich war ich weder über unser Geburtserlebnis sonderlich erfreut, noch fühlte ich mich in der Lage zum entspannten Genießen. Im Gegenteil: Ich war traurig über das, was wir erlebt hatten. Ich war enttäuscht. Ich hatte Ängste, Sorgen. Und ich war zutiefst verunsichert, was meine mütterlichen Qualitäten betraf. Waren diese Gefühle denn „normal“? Oder stimmte mit mir etwas nicht? In der Zwischenzeit weiß ich: Viele Kaiserschnitt-Mütter empfinden ähnlich, nur spricht fast niemand darüber.
Die Geschichte unserer Geburt
Es ist der 24. April 2013. Fünf Wochen vor dem errechneten Geburtstermin meines Sohnes. Status: Beckenendlage. Mitten in der Nacht geht es los: Ich übergebe mich ständig. Ich habe Durchfall. Fieber kommt dazu. Ich habe „Bauchschmerzen“. Wehen? Wir fahren ins Krankenhaus. Eine sich ewig hinziehende Blutuntersuchung ergibt quasi nichts. Die Herztöne meines Sohnes sind (angeblich) bedenklich. Und verschlechtern sich. Die Entscheidung fällt: Sektio! Ich bin überrascht, verwirrt, geschockt. Ist das notwendig? Ja. Warum? Der Stress sei für das Baby bedenklich hoch. Ich fühle mich elend. Und habe Angst. Schließlich unterschreibe ich. Schmerzhafte Spinalanästhesie. Dann geht’s los. Ich spüre den Schnitt. Zack. Mein Sohn ist geboren. Zack. Die Nabelschnur ist durchtrennt. Irgendwie hab ich da etwas verpasst. Er wird mir kurz gezeigt. Ich kann ihn nicht berühren. Meine Arme sind festgebunden. Schon ist er außerhalb meines Blickfelds. Wieso schreit er nicht? Niemand antwortet. Wieso schreit er nicht!!! Dann ein leises Krähen. Ah, gut, alles ok. Oder doch nicht? Denn urplötzlich ist er weg. Und zwar ganz weg. Für einen Monat auf der Intensivstation in einem anderen Spital am anderen Ende der Stadt. Seine Lunge hat sich nicht entfaltet. Er kann ohne Hilfe nicht atmen. Während ich nach der Operation „scheppere“ als hätte ich Schüttelfrost (man sagt mir, das sei normal), weine und Beruhigungsmittel bekomme, verfällt mein Mann in eine Art Erstarrungs- und Erschöpfungszustand. Zumindest konnte er vor der Verlegung unseres Sohnes durch das Glas des Inkubators mit ihm sprechen. Wir alle sind getrennt, voneinander und von uns selbst. Das Band ist zerschnitten. Wir werden viel Zeit und Geduld brauchen, um es wieder zu knüpfen.
Eine ungeklärte Infektion brachte meinen ungeborenen Sohn und mich in jener Nacht in eine äußerst unangenehme Lage. Ja. Aber: War der Kaiserschnitt wirklich notwendig? An sich war er nämlich ein vitales Kerlchen. Mit tipptopp Apgar- und Nabelschnur-pH-Werten nach der Geburt. Ich werde es wohl nie mit Sicherheit wissen. Letztendlich ist es auch nicht mehr von Bedeutung. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann: Auch wenn nicht jeder Kaiserschnitt automatisch eine derartig lange Trennung wie unsere mit sich bringt, so bedeutet eine Sektio IMMER eine Trennung von Mutter/Vater und Baby. Sei sie auch noch so kurz. Diese Separierung sowie operationsbedingte Schmerzen verursachen oft Turbulenzen in der Mutter/Vater-Kind-Beziehung.
Der Kaiserschnitt in Zahlen
Die Kaiserschnittrate in Österreich und Deutschland liegt derzeit bei 30 %. Jedes dritte Kind wird also mittels Kaiserschnitt geboren. Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) dagegen empfiehlt eine Rate von max. 15 % und lässt verlautbaren: Zu dieser Art der Geburtshilfe sollte nur bei eindeutiger medizinischer Indikation (wie zum Beispiel Beckenquerlage, Plazenta praevia totalis*) gegriffen werden. Die Operation – immerhin die häufigste bei Frauen im gebärfähigen Alter – hätte bei gesunden Frauen mehr Schaden als Nutzen.
Eine groß angelegte deutsche Studie zeigte, dass weniger als 10 % aller Kaiserschnitte aus medizinischer Sicht absolut notwendig sind. In neun von zehn Fällen liegt eine sogenannte relative Indikation vor, also zum Beispiel Beckenendlage, ein vorangegangener Kaiserschnitt, ein auffälliges CTG. Ob in solchen Fällen letztendlich die Entscheidung für oder gegen einen Kaiserschnitt fällt, hängt von vielen Faktoren ab: von der Erfahrung der Geburtshelfer, von der Klinikorganisation, von der Haltung der Ärzte, von haftungsrechtlichen Aspekten, kurz: von der geburtshilflichen Kultur der jeweiligen Klinik. Weltweit werden jährlich 6,2 Mio. Kaiserschnitte ohne eindeutige medizinische Indikation durchgeführt.
* Die Plazenta bedeckt den Muttermund vollständig, wodurch eine spontane Geburt ausgeschlossen ist.
Sensibilisierung und Aufklärung sind notwendig
In der Zwischenzeit sind die möglichen Folgen des Kaiserschnitts wissenschaftlich belegt. Erhöhtes Sterblichkeitsrisiko der Mutter, Verletzung der benachbarten Organe, hoher Blutverlust und Folgeoperationen, Narkose-Unverträglichkeiten, chronische Narbenschmerzen, eine erschwerte bzw. komplikationsreichere erneute Schwangerschaft. Diabetes-, Asthma- und Allergie-Erkrankungen beim Kind stehen in direktem Zusammenhang mit dieser Art der Geburt. Kaiserschnitt-Kinder sind außerdem oft unruhiger, schreckhafter, finden über Monate keinen Schlaf. Stillprobleme sind häufig. Bei der Mutter staut es, das Baby saugt nicht „richtig“. Der erste Kontakt zwischen Mutter und Kind ist gestört. Prägung und Bindung setzen verzögert ein. Die natürlichste Sache der Welt ist in Unordnung.
Auch die Gefühlswelt der Mutter. Eine Tatsache, die oft übersehen, ja sogar geleugnet wird. In unseren Breitengraden wird der Kaiserschnitt als „sanfte Geburt“ regelrecht angepriesen. Prof. Dr. Peter Husslein, Leiter der Gynäkologie im AKH Wien, ist der Meinung, dass die Kaiserschnittrate – zumindest in der industrialisierten Welt – weiter zunehmen wird, und dass irgendwann die normale Geburt die Ausnahme sein werde. Aber ist das wirklich wünschenswert? Nach einem Kaiserschnitt geht es den weinigsten Frauen wirklich gut. Weder physisch noch psychisch. Das erhoffte Glücksgefühl der Geburt stellt sich oft verspätet ein. Viele Frauen fühlen sich überrumpelt, unfähig, ohnmächtig, unverstanden und schuldig. All diesen Müttern darf ich aus tiefstem Herzen versichern: Ihr dürft euch so fühlen! Und: Sucht euch bitte ein verständnisvolles Umfeld. Hat die betroffene Mutter die Chance, ihre Gefühle und Ängste einem achtsamen Zuhörer mitzuteilen – einem Zuhörer, der ihre Situation weder herunterspielt noch belächelt – dann ist schon der erste Schritt in Richtung Aussöhnung getan.
Liebe Sektio-Mütter, es ist nichts verloren …
Nachdem mein Sohn endlich von der Intensivstation nach Hause in meine Arme übersiedelte, schenkte mir eine Freundin Jean Liedloffs absolut lesenswertes Buch „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“. Nun, nachdem ich es mir zu Gemüte geführt hatte, übermannten mich heftigste Zweifel ob der zukünftigen Glücksfähigkeit meines Sohnes. Wurde doch seine natürliche Erwartung – gleich nach der Geburt gestillt und getragen zu werden – in keinster Weise erfüllt: „Die Zeit unmittelbar nach der Geburt ist der Teil des Lebens außerhalb des Mutterleibes, der die nachhaltigsten Eindrücke hinterläßt. Was einem Baby dann begegnet, ist für sein Gefühl das Wesen des Lebens selbst, so, wie es sein wird. Jeder spätere Eindruck kann […] jenen ersten Eindruck lediglich modifizieren […].Seine Erwartungen sind die unflexibelsten, die es je hegen wird. Die Veränderung gegenüber der uneingeschränkten Gastlichkeit des Mutterleibs ist gewaltig, aber wie wir gesehen haben, wurde es vorbereitet auf den großen Sprung vom Mutterleib zu seinem Platz auf den Armen. Nicht vorbereitet hingegen wurde es auf irgendeinen noch größeren Sprung – geschweige denn auf einen Sprung ins Nichts, in Nicht-Leben, in einen Korb mit Stoff ausgeschlagen oder in ein Plastikkästchen, das sich nicht bewegt, keinen Ton von sich gibt, das weder den Geruch noch das Gefühl von Leben aufweist. Kein Wunder, wenn das gewaltsame Auseinanderreißen des Mutter-Kind-Kontinuums […] sowohl Depression bei der Mutter als auch Todesangst beim Säugling auslöst.“
So sehr mich das Buch beunruhigte, so sehr bewegte es mich. Es sprach meine tiefsten Empfindungen an. Ich gab meinem intuitiven Bedürfnis, meinen Sohn so oft wie möglich bei, an und auf mir zu haben, nach. Trotz heftigen Gegenwinds. Bei Gott, es wird einem als junge Mutter nicht immer leicht gemacht. Egal. Ich stillte und trug ihn. Ich stillte und trug ihn. Ich stillte und trug ihn. Das was das einzige, was sich richtig anfühlte. Und ich spürte ganz unmittelbar: Das wird und retten …
Stillen und Tragen sind für mich wunderbare Wege, um Heilung nach traumatischem Geburtsverlauf zu erfahren. Um Vertrauen in sich und sein Baby zu erlangen. Um seine Kompetenz und Intuition wiederzufinden. Einfühlsame Still- und Trageberaterinnen sind während dieses Prozesses ein wahrer Segen. Ihre Unterstützung und ihr Wissen sollten „schamlos“ in Anspruch genommen werden. Manchmal allerdings reicht das nicht aus, um das durchschnittene Band neu zu knüpfen. Manchmal ist der Schmerz zu groß. Selbst dann gibt es Hilfe! Die Schweizer Hebamme Brigitte Renate Meissner beschreibt in ihren Büchern die möglichen Auswirklungen eines Kaiserschnitts (oder anderer traumatischer Geburtserlebnisse) nicht nur sehr einfühlsam und vielschichtig. Sie gibt außerdem konkrete Hilfestellungen zur Heilung der unterbrochenen Mutter-Kind-Beziehung. So geht es im „Heilgespräch“ darum, den unausgesprochenen Gefühlen, Ängsten und Gedanken einen Namen zu geben und mit dem Kind auf einfache Weise über die Geburt zu sprechen. Beim „Mutter-Kind-Bad“ wird das verpasste Bonding nachgeholt: Man badet sein Kind, legt es sich anschließend noch feucht und nackt auf die Brust und spricht über das gemeinsam Erlebte. Beides kann mit Kindern jeden Alters durchgeführt werden.
Ich selbst spreche mit meinem mittlerweile dreijährigen Sohn immer mal wieder über die Geburt. Bis zu seinem ersten Geburtstag führte ich in regelmäßigen Abständen auch das Mutter-Kind-Bad durch. Jedes Mal war ich tief berührt. Jedes Mal spürte ich, wie notwendig, wohltuend, versöhnlich dieser Akt war. Hätte ich von diesen Möglichkeiten bereits vor meinem Kaiserschnitt-Erlebnis gewusst, ich wäre bestimmt zuversichtlicher in diese Situation hineingegangen. Mit dem Wissen und Gefühl, aktiv etwas bewirken zu können – wenn auch erst nach der Geburt. Doch auch während der Sektio-Geburt gibt es wunderbare Möglichkeiten, in Kontakt mit seinem Kind zu bleiben und sich auf diese Weise nicht so ohnmächtig zu fühlen. Leider beschäftigte ich mich mit all dem erst Wochen und Monate nach der Geburt. Ein Versäumnis meinerseits?
Liebe Sektio-Mütter, habt euch selbst lieb …
Warum habe ich mich nicht „besser“ vorbereitet? Warum habe ich genau dieses Spital ausgesucht? Dass die Kaiserschnitt-Rate von Spital zu Spital teils heftigst variiert, ist in der Zwischenzeit ja kein Geheimnis mehr: Während das Wiener AKH zum Beispiel eine Rate von 50 % aufweist, liegt im eher konservativ ausgerichteten SMZ-Ost die Rate bei nur 17 %. Warum war ich nicht selbstbestimmter? Warum habe ich dem Urteil der Ärzte so einfach vertraut? Und: Wie wird sich dieses Geburtserlebnis – diese große Erschütterung des Urvertrauens – auf das weitere Leben meines Sohnes auswirken? Fragen über Fragen. Und viel Schuldgefühl …
Nach der Geburt bewegten sich meine Gedanken entweder in der unveränderlichen Vergangenheit oder in der ungewissen Zukunft. Immer wieder hatte ich im Fokus, was an der Geburt nicht so gelaufen ist, wie ich es mir gewünscht hatte. Was ich eigentlich geleistet hatte, das konnte ich lange Zeit gar nicht wahrnehmen. Vielen Frauen ergeht es ähnlich. Davon weiß auch Hebamme Brigitte Renate Meissner zu berichten: „Es ist und wäre wichtig, wenn sie [Anm.: die enttäuschte Kaiserschnittmutter] realisieren und auch wirklich tief erkennen könnte, dass sie bei, während und durch die Entbindung per ungewünschtem Kaiserschnitt sehr viel erlebt, durchgemacht und hingegeben hat. Sie musste sich in den ablaufenden Prozess hingeben, ohne wirklich eine Wahl zu haben. […] und musste dann zusätzlich noch ihre Wünsche und Vorstellungen, wie ihr Kind geboren werden sollte, loslassen und hingeben. Eine tiefe und wertvolle Reise also, wert aller Anerkennung und des echten Respekts!“
Sich selbst auf die Schulter zu klopfen und stolz zu sein auf den ganz persönlichen Weg durch die Geburt und die anschließende Bewältigung – das braucht Zeit. Das braucht Liebe. Das braucht Unterstützung. Diese ist aber gar nicht immer so leicht zu finden. So manche Frau zerbricht fast am Unverständnis ihrer Umgebung und fühlt sich dadurch immer weiter in Frage gestellt. Professionelle Hilfe ist in vielen Fällen eine lohnenswerte Option. In Österreich gibt es sogar eine Expertin in Sachen Kaiserschnitt: die Wiener Psychologin Mag. Judith Raunig. Nach eigenem Kaiserschnitt-Erlebnis machte sie es sich zur Aufgabe, Sektio-Mütter auf ihrer emotionalen Reise zu begleiten. Dabei bietet sie Einzelsitzungen an, veranstaltet aber auch sogenannte Kaiserschnitt-Seminare. Hier treffen sich Eltern mit ähnlichen Erlebnissen, Gefühlen, Sorgen. Tauschen sich aus, hören einander einfach zu. Ich selbst habe ein solches Seminar besucht und kann es wärmstens empfehlen. Die Öffentlichkeit für die möglichen Folgen eines Kaiserschnitts zu sensibilisieren, ist Frau Mag. Raunig außerdem ein großes Anliegen. In ihrem erfolgreichen Dokumentar-Film „Meine Narbe“ lässt sie betroffene Mütter und Väter ehrlich, ungeschminkt, schonungslos über ihre Kaiserschnitt-Erlebnisse und –gefühle berichten. Sehenswert. Erhellend. Bewegend.
Drei Jahre sind seit der Geburt meines Sohnes vergangen. In dieser Zeit habe ich viel gelernt. Vor allem über mich selbst. So habe ich bemerkt, wie hart ich oft mit mir selbst ins Gericht gehe. Ich identifizierte viele Denkmuster, Glaubenssätze, Automatismen in mir, die es Wert sind, genauer unter die Lupe genommen zu werden. Unser Geburtserlebnis ebnete mir den Weg zu folgenden Fragen: Wie gehe ich eigentlich mit mir selbst um? Gestatte ich es mir, Fehler zu machen und danach wiederaufzustehen? Begleite ich mich selbst eigentlich mit Liebe, Verständnis und Respekt? Also so, wie ich mit meinem Sohn, meinem Mann, mit anderen Menschen umgehe bzw. umgehen möchte? Die Praxis des „Achtsamen Selbstmitgefühls“ hat mir sehr geholfen, mich selbst weniger zu be- und verurteilen, mich mehr zu lieben, mich als Mensch anzunehmen. Und ich kam zu der Einsicht: Ich bin nicht schuld. Ich muss nichts wiedergutmachen. Natürlich möchte ich meinem Sohn wertvolle, liebevolle, positive Erfahrungen schenken. Die Neurowissenschaft lieferte ja in den vergangenen Jahren aufregende und hoffnungsvolle Erkenntnisse darüber, dass unser Gehirn lebenslang formbar ist, sich verändern und neu vernetzen kann, und dass dadurch negative Erfahrungen quasi „überschrieben“ werden können.
In der Zwischenzeit habe ich allerdings erkannt: Ich bin nicht für alles zuständig. Mein Sohn bringt sein eigenes Paket mit, seine ganz individuelle Ausstattung, um in dieser Welt klarzukommen. Um Defizite auszugleichen, die ihm zu Beginn seines Lebens – wahrscheinlich schicksalhaft – zuteilwurden. Ich kann und darf ihn achtsam, respektvoll begleiten. Aber seinen Weg, den sucht er sich ganz allein. Dass ich zu diesem Vertrauen gefunden habe, ist für mich das deutlichste Zeichen meiner inneren Heilung und Reife, meiner Aussöhnung mit dem Kaiserschnitt und mit mir selbst …
Plädoyer für eine Enttabuisierung
Ohne Diskussion: Der Kaiserschnitt kann Leben retten. In unserer Gesellschaft wird meines Erachtens allerdings zu schnell und leichtfertig davon Gebrauch gemacht. Statt Vertrauen regieren Angst und Kontrolle die derzeitige Geburtshilfe. Mütter, die sich bewusst für eine Sektio entscheiden, haben gewiss ihre Gründe. Und es gibt bestimmt auch Frauen, die mit ihrem Kaiserschnitt-Erlebnis zufrieden sind. Wenn das so ist: Wunderbar. Wir alle sind individuell, empfinden unterschiedlich, gehen anders mit herausfordernden Situationen um. Außerdem kann durch gute Vorbereitung und einfühlsame Begleitung eine Sektio-Entbindung durchaus stimmig ablaufen.
Vielen Frauen geht es allerdings nicht so. Sie fühlen sich nicht Ernst genommen mit ihren Sorgen, Gedanken, Empfindungen. Ihre ohnehin schon große Unsicherheit im Umgang mit ihrem Baby wird noch größer. Genau diesen Frauen soll zukünftig mehr Gehör verschafft und Unterstützung geboten werden. Dafür werde ich mich stark machen. Die Narbe unterhalb meines Bauchnabels ist kaum noch sichtbar. Aber die Narbe in meinem Herzen, die spüre ich noch immer …
Dieser Artikel erschien im unerzogen-Magazin (tologo Verlag), Juli 2016
Literatur:
- Jean Liedloff: Auf der Suche nach dem verlorenen Glück. Verlag C. H. Beck. 2009
- Brigitte Renate Meissner: Kaiserschnitt und Kaiserschnittmütter. Brigitte Meissner Verlag. 2013
- Brigitte Renate Meissner: Emotionale Narben aus Schwangerschaft und Geburt auflösen. Brigitte Meissner Verlag. 2013.
- Brigitte Renate Meissner: Geburt. Ein schwerer Anfang leichter gemacht. Brigitte Meissner Verlag. 2012.
- Herbert Renz-Polster: Menschenkinder. Kösel. 2012
- Kristin Neff: Selbstmitgefühl. Schritt für Schritt. Arbor. 2014
- Nicola Schmidt: artgerecht. Das andere Baby-Buch. Kösel. 2015
- Daniel J. Siegel. Tina Payne Bryson: Achtsame Kommunikation mit Kindern. Arbor. 2013
- Caroline Oblasser. UlrikeEbner: Der Kaiserschnitt hat kein Gesicht. edition riedenburg. 2014
- Ute Taschner. Kathrin Scheck: Meine Wunschgeburt – Selbstbestimmt gebären nach Kaiserschnitt. edition riedenburg. 2012
-
Studie: Kaiserschnittgeburten - Entwicklung und regionale Verteilung, Faktencheck Gesundheit/Kaiserschnitt. 2012. http://faktencheck-gesundheit.de/de/publikationen/publikation/did/faktencheck-gesundheit-kaiserschnitt/
- Mag. Judith Raunig: www.nach-dem-kaiserschnitt.at
- Film: Mirjam Unger. Judith Raunig. Meine Narbe. Ein Schnitt ins Leben. Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH. 2014. https://www.flimmit.com/meine-narbe
- La Leche Liga – Stillberatung: www.lalecheliga.at/, http://www.lalecheliga.de
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