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Rezension: Gabriel – Vom Entdecken eines glücklich befreiten Lebens

Buchrezension durch Susanne Sommer, erschienen im Magazin "unerzogen" (Heft 04/2019)

 

ca. 170 Seiten, Hardcover: 22,80€, Softcover: 16,80€
Erschienen im Klemm+Oelschläger Verlag, Ulm
ISBN: 978-3-86281-131-1

 

 

 

Freischaffender Philosoph – so bezeichnet sich Bertrand Stern gern selbst: Seit über 50 Jahren äußert er sich in Vorträgen und Veröffentlichungen kritisch zu Themen wie Arbeit, Zeit, Mobilität, Medizin, Gesundheit, Bildung, Schule und Selbstbestimmung. Wer mehr wissen will, dem sei wärmstens sein neues Buch „Gabriel“ empfohlen. Hier gibt es quasi „Stern kompakt“. Er schafft es auf wunderbare Weise, die in seinem Leben wichtigen Ereignisse und Themen anzusprechen und in ihrem wesentlichen Kern zu beschreiben. Es ist ein Buch, das viel Information und gute Argumentation bietet, aber auch zum Weiterlesen und -denken einlädt. Im November erschienen, wanderte es umgehend auf mein Nachtkästchen. Es war zwar nach zwei Nächten „ausgelesen“, wird mich aber noch lange und immer wieder begleiten. Es ist ein Buch, das nicht so schnell loslässt.

 

Zu erfahren gibt es Einiges über Bertrand Sterns Familie, seine Kindheit, sein Heranwachsen, die zahlreichen Aufenthaltsorte seiner Jugend, freudvolle und geliebte Beschäftigungen, entmutigende Schulerfahrungen. Immer wieder kommt er auch auf den Malort zu sprechen. Das Malspiel beschreibt er als für sich wichtigen „Ausgleich“ zu schulischen Bewertungen. Hier konnte er „er selbst sein“, ohne Beurteilung, ohne Forderung. Hier konnte er sich sein Wissen erhalten, aus sich selbst heraus kompetent und wertvoll zu sein. Hier sah er seine Würde gewahrt. Dem zentralen Anliegen seiner späteren Bemühungen: Menschen sind keine Objekte, die man nach Belieben formt; sie sind als Subjekte fähig, selbstbestimmt mit ihrem Dasein umzugehen: „Erst dann, wenn jedwede staatlich verordnete Verletzung der Persönlichkeitsrechte, vor allem der Würde, nicht mehr hingenommen wird, erst dann, wenn der Mensch, jeder Mensch (zuvörderst der junge Mensch) als Subjekt wahrgenommen wird und er nicht nur gehört, sondern erhört, ernstgenommen wird, erst dann entsteht ein wirklich lebendiges Fundament für eine prospektive, menschliche Lebens- und Kulturform, in deren Mittelpunkt der ethisch zentrale GG-Art1 steht: „die Würde des Menschen ist unantastbar“. […] Subjekte, also selbstbestimmte, kompetente Menschen [werden nicht], sondern sind. In dem Maße, wie es ihnen gelingt, in ihrem Sein zu bleiben und sich zu entfalten, wächst zugleich ihre natürliche Kompetenz, sich den Herausforderungen aktiv und kreativ zu stellen, das Leben, ihr Leben zu bewältigen.“

 

Besonders wohltuend für mich: Bertrand Sterns gewohnt gewissenhafter Umgang mit Sprache. Was ihm anscheinend immer wieder als Pingeligkeit vorgeworfen wird, finde ich außerordentlich bereichernd: Sprache ist das Mittel der Bewusstseinsbildung. Achtsamkeit in der Sprache ist die Grundvoraussetzung für Achtsamkeit in allen Lebensprozessen. Ich freue mich über diese sorgsame, scharfsinnige, spielerische und teils sehr amüsante Handhabe von Sprache. Auch liefert Stern interessante Überlegungen zum Verlauf und zur Handhabung von Krisen und Reformen, vor allem im Schulsystem. Und außerdem eine wichtige Erkenntnis: Es macht wenig Sinn, wenn Schulbefürworter und -gegner ihre Argumente vorbringen und deren Richtigkeit beweisen wollen. Spannend wird es laut Stern dann, wenn man das Falsifizieren antritt, also sich fragt, was es mit der Gegenbehauptung auf sich hat: „Können die Schulbehörden garantieren, dass es dem Menschen an der Schule gut geht […]? Können die Behörden für ihre Behauptung den Nachweis erbringen, dass jemand ohne Schule individuell, sozial und beruflich scheitert? Diese „Umkehr der Beweislast“ ist etwa im Bereich der Gesundheitsfürsorge selbstverständlich: Ein Medikament muß (sollte) nicht nur den Beweis seiner Wirksamkeit erbringen, sondern auch den Nachweis seiner Unschädlichkeit. Weshalb sollte dies nicht auch in diesem Bereich gelten?“

 

Sterns Buch gleicht einem Netz: wie eine Hängematte, in die man sich gern legt und das Wunder, die Einmaligkeit des Lebens auf sich wirken lässt; ein Netz aber auch, das Zweifel auffängt, das zu Klarheit verhilft, Rückhalt und Bestärkung gibt, um den würdevollen Weg zu gehen. Auch Bertrand Sterns Leben war nicht geradlinig. Von Höhen und Tiefen schreibt er ehrlich und bewegt. Aber bis heute blickt er mit Zuversicht und Engagement nach vorn. Und hoffnungsvoll auch seinem Vatersein entgegen. Gabriel bedenkt er am Ende des Buchs mit den Worten: „Das eigene Vorankommen hängt von Deinem Aktiv- und Kreativsein ab, allein diese Bewegtheit des Lebens ist nicht an die Bewegung, die Massenbewegung gekoppelt, im Gegenteil: Stets sei es Dein Selbstverständnis, dass Du Dich von Deiner würdevollen Einzigartigkeit leiten lassen mögest, um bewegt voranzuschreiten auf dieser besonderen Wanderung, welche da heißt: ‚Leben!‘“. Danke für dieses Buch, Bertrand Stern!

 

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